Subsistenzwirtschaft 2.0 - Rückwärtsintegration zur Sicherung des Zugangs zu Biorohstoffen

17.12.2015
Subsistenzwirtschaft 2.0 - Rückwärtsintegration zur Sicherung des Zugangs zu Biorohstoffen
Trotz des zurzeit niedrigen Rohölpreises engagieren sich viele Unternehmen in Verfahren, um Biorohstoffe nicht nur als Energiequelle zu nutzen, sondern in Zukunft viele Produkte auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen erzeugen zu können. Die Sicherung des Zugangs zu diesen Rohstoffen wird dabei ein immer wichtiger werdender Aspekt.
Der Trend hin zur Verwendung von Biorohstoffen ist ungebrochen. Das liegt zum einen an einer wachsenden Anzahl von Verbrauchern, die solche Produkte nachfragen, aber auch an der großen Zahl von Unternehmen, die erkannt haben, dass Ressourcenschonung und Klimaschutz Zukunftsthemen sind. Ein Umdenken ist erforderlich. Langfristig werden wir aufgrund der Endlichkeit der fossilen Energieträger und der daraus resultierenden globalen Umweltprobleme nicht umhinkommen, unsere Wirtschaftsweise in Richtung Bioökonomie weiter zu entwickeln.

Weniger als 10 % des derzeit geförderten Erdöls wird heute noch als Rohmaterial für Industrieprodukte eingesetzt. Trotzdem enthalten nahezu alle Produkte, die in Industriestaaten heute verwendet werden, Rohölbestandteile: angefangen von den allgegenwärtigen Kunststoffen, für die mehr als 5 % des Rohöls verwendet werden, über Reifen, Dichtungsmaterialien, Farben, Textilien, bis hin zu Pharmazeutika, deren Grundbestandteile ebenso überwiegend auf Erdölprodukten aufbauen.

Biorohstoffe sind ein Wachstumsmarkt
Nach Alternativen für Rohöl als Grundlage für Materialien wird intensiv geforscht. Biorohstoffe sind ein Wachstumsmarkt, was sich zurzeit vor allem in der Biokunststoffindustrie zeigt. Das bei weitem wichtigste Anwendungssegment für Biopolymere sind die Verpackungen, deren Anteil von heute 70 % auf über 80 % im Jahr 2020 ansteigen wird. So wird laut European Bioplastics erwartet, dass der weltweite Anteil der Kapazitäten biobasierter Polymere von derzeit etwa 2 % auf 4 % der Gesamtproduktion von Polymeren im Jahr 2020 steigen wird. Dabei sind biobasierte PE und die Produktion von Bio-PET die wichtigsten Treiber.

Von der technischen Seite her sind am vielversprechendsten derzeit sogenannte Drop-in-Bio-Polymere, die sich chemisch nicht von den petrochemisch erzeugten unterscheiden und in bestehende Produktionsprozesse integriert werden können. Über die bestehenden traditionellen Ansätze der Bio-Polymer-produktion werden große Hoffnungen auch auf biotechnische Verfahren gesetzt, mit deren Hilfe sich Fein- und Spezialchemikalien ebenso herstellen lassen wie Antibiotika für die pharmazeutische Industrie. Biotechnologisch erzeugte Mikroorganismen und Enzyme werden u. a. für Reinigungsmittel verwendet. Weiteres Beispiel: Löwenzahn wird – zumindest in groß angelegten Versuchen – zur Herstellung von Kautschuken eingesetzt.

Kleiner Unterschied - große Wirkung
Allerdings ist die Nutzung von Biomaterialien nicht nur eine technische Herausforderung auf der Seite der Verarbeiter. Entscheidend ist auch der Zugang zu den benötigten Materialien. Da Biomaterialien je nach Quelle eine einzigartige Struktur mit spezifischen Eigenschaften aufweisen können, sind sie nicht ohne weiteres austauschbar.

Die Nutzung von Beiprodukten der Lebensmittelindustrie ist ein gutes Beispiel dafür. Analysiert man entlang der Wertschöpfungskette, ergibt sich folgendes Bild: Verarbeiter von natürlichen Farb- und Geruchsstoffen sind schon seit langem darauf angewiesen, sehr eng mit den Lieferanten dieser Rohstoffe zusammenzuarbeiten, da auch kleine Unterschiede in den Anbaumethoden von Pflanzen große Auswirkungen auf die Eigenschaften der Endprodukte haben können. Nutzer von Materialien auf tierischer Basis, wie etwa Proteinen, machen ebenso die Erfahrung, dass man viele Produkte in einer bestimmten Qualität und Leistungsfähigkeit nicht einfach auf einem freien Markt kaufen kann. Auf die Qualität tierischer Proteine, wie sie in Milch vorkommen, hat etwa bereits die Weidebewirtschaftung einen Einfluss. Ein weiterer Faktor ist dann die Weiterverarbeitung der Milch auf den Höfen und in den Molkereien. Je nach Art der eingesetzten Separations- und Trocknungsprozesse sowie der Aufbereitungsverfahren, die sich je nach Milchprodukttyp unterscheiden, entstehen Proteine mit einzigartigen Eigenschaften. Es ist dann eine wesentliche Herausforderung für Verarbeiter von Proteinen, Zugang zu den jeweils passenden Rohstoffen zu erhalten.

Aber auch bei Biopolymeren in Verpackungen ist der Zugang zu den natürlichen Rohstoffen ein entscheidendes Kriterium. So wird sich der bis 2020 erfolgende Ausbau der Bio-Polymerkapazitäten zu mehr als drei Vierteln auf Asien konzentrieren, da hier der Zugang zu Biorohstoffen vergleichsweise einfach und kostengünstig gestaltet werden kann.

Wenn die Bio-Polymerindustrie in anderen Regionen der Erde nicht zurückfallen will, muss sie sich vermehrt um den Zugang zu biobasierten Rohstoffen kümmern.

Verarbeiter von Biomaterialien müssen sich daher in Zukunft verstärkt nach Möglichkeiten zur Rückwärtsintegration umsehen. In vielen Fällen können Kooperationen mit Herstellern der Grundmaterialien eine Möglichkeit sein. Manchmal kann die Antwort aber auch lauten, dass man sich am besten direkt bei Agrarbetrieben engagiert. Subsistenzwirtschaft 2.0 sozusagen.

© Schlegel und Partner 2015